Herbsttagebuch by Kerstin Hohlfeld

Herbsttagebuch by Kerstin Hohlfeld

Autor:Kerstin Hohlfeld
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2012-06-01T04:00:00+00:00


Cool! Jetzt kommt wieder der Naturforscher ins Spiel. Ich hätte es sehr bedauert, wenn der smarte Wendelin ganz von der Bildfläche verschwunden wäre.

Wieder empfinde ich ganz stark, was ich von Anfang an gedacht habe: Wendelins Gefühle für Augusta sind echt!

Vielleicht so, wie Leos Gefühle für mich?

Ist das nervig! Meine blöden Grübeleien kleben in einer Endlosschleife fest, wie Kaugummi an der Schuhsohle.

Und da ist – peng – plötzlich ein ganz neuer Gedanke. Ich kriege auf einmal rasendes Herzklopfen. Augustas Einträge haben mich zuerst abgelenkt von meinem eigenen Dilemma, doch dann ohne Umweg wieder dahin zurückgeführt. Plötzlich begreife ich, dass ich ganz genauso bin – ein beknacktes, herrenloses Boot ohne Ruder, für das andere die Pläne machen. 100 Jahre später, nachdem Augusta dem Tagebuch ihre Sorgen anvertraut hat, in einer Zeit, in der Frauenrechte und weibliche Selbstbestimmung keine Fremdwörter mehr sind, verhalte ich mich kein bisschen klüger als sie.

Tina schleppt mich in eine Kneipe. Da lasse ich mich von völlig fremden Typen besoffen machen und von Tina küssen, obwohl ich gar nicht auf Frauen stehe. Nur einen Tag später küsst mich Leo, nachdem er mir Alkohol aufgeschwatzt hat, den ich gar nicht wollte. Meine Intimfeindin Marlene spaziert derweil mit meinem Freund über den Potsdamer Platz. Dann verschwinden sie einfach und sind wie vom Erdboden verschluckt, und ich telefoniere mir sinnlos die Finger wund.

Und mein neuer Job? Wollte ich den wirklich?

Ich weiß gar nichts mehr. Nur dass scheinbar jeder mit mir macht, was er will, und ich kein einziges Mal aufstehe und sage: ›Leute, mir reicht’s jetzt mit euch.‹

Und genau das muss sich ändern. Ich muss wieder selbst wissen, was ich will. Ich muss Ja sagen, wenn ich Ja meine. Und mit einem Nein muss ich es genauso handhaben. Das kann doch nicht so schwer sein. Andere schaffen das doch auch. Und die sind viel entspannter als ich.

Mir laufen Tränen über die Wangen. Ich werfe mich auf mein Kissen und gebe mich meiner Verzweiflung hin.

Den Rest der Nacht verbringe ich abwechselnd grübelnd oder wild träumend: Basti ist auf einmal Friedrich und schenkt mir einen Verlobungsring. In Wirklichkeit ist er allerdings mit Marlene zusammen und die beiden treiben es laufend bei uns in der Werkstatt, während ich zugucken muss und Tina mich küssen will.



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